
Wer ein praktisches Lehrbuch des Orgelbaus um 1800 erwartet, wird möglicherweise enttäuscht sein. Das Buch war nicht für Orgelbau-Lehrlinge gedacht, und obwohl es auf viele handwerkliche Einzelheiten eingeht, werden heutige Hobby-Instrumentenbauer ihm nicht die Kniffe und Mensurtafeln entnehmen können, die sie suchen. Wenn man also den Orgelbau daraus nicht lernen kann, wozu soll das Buch dann dienen?
Adressaten sind zunächst einmal die Berufskollegen ZANGs, die Kantoren und Organisten, vornehmlich wohl die der kleinen Städte und größeren Dörfer. Ihnen sind
- die für den Umgang mit ihrem Instrument nötigen Kenntnisse zu vermitteln,
- die schlimmsten Unarten beim gottesdienstlichen Orgelspiel auszutreiben,
- ein Stück der zeitgenössischen musikalischen Bildung zu verschaffen,
- die Argumente an die Hand zu geben, mit denen sie bei ihren Kirchengemeinden Beschaffung und Ausbau einer vernünftigen Orgel durchsetzen konnten.
Die zweite Gruppe Adressaten sind „Herrschaften und Gemeinden“, die nämlich die Instrumente der Organisten bezahlen und unterhalten müssen. Sie sollen lernen oder nachschlagen können, worauf es bei Neubau und Reparatur einer Orgel ankommt,
„weil manche Herrschaft und Gemeinde, welche neue Orgeln bauen, oder alte reparieren lassen, durch Stümpler betrogen und durch immerwährendes repariren und flicken, in den größten Schaden versezt werden“,
und woran sie einen verlässlichen Orgelbauer von einem „Stümpler“ unterscheiden können. Auch heute ist dies ein legitimer Zweck für ein Buch.
Schließlich sind doch auch die Orgelbauer als mögliche Leser des Buches vorgestellt: Nicht dass sie daraus unmittelbar technische Einzelheiten lernen könnten, aber sie können sich darüber orientieren, was von ihnen gefordert wird und was in der Orgelprobe auf sie zukommt.
Will man den Autor charakterisieren, so lässt sich am meisten mit der Aussage anfangen, dass hier ein Prüfer und Gutachter geschrieben hat, auch ein versierter Benutzer von Orgeln, aber kein Praktiker des Orgelbaus.
ZANGs „Vollkommener Orgelmacher“ ist in 4 Abschnitte gegliedert: Der einleitende erste breitet die „Vorgeschichte“ eines Orgelbaus aus: Festlegung der Größe, Disposition und, bis in letzte Einzelheiten, der Kontrakt mit dem Orgelbauer, mit vielen Vorverweisen auf den zweiten Abschnitt; für den Fall, dass es sich um den Umbau einer vorhandenen Orgel handelt, wird deren Untersuchung und Bewertung behandelt; eingefügt ist noch ein Exkurs in die Geschichte des Instruments seit der Antike – ein solcher Abschnitt gehört seit alters dazu.
Der umfangreiche zweite Abschnitt ist „Von der Orgelprobe“ überschrieben und enthält 15 Paragraphen (5 bis 19) über alle wichtigen Komponenten des Orgelbaues: Werkvertrag und Plan, Register, Bälge, Windproben, Windkanäle, Windladen, Metall- und Holzpfeifen, Zungenregister, Wellaturen, Kanzellen, Parallelen, Windstöcke, Spünde und Stimmung.
Im dritten Abschnitt wird das Problem der Orgelstimmung behandelt, das zu ZANGs Zeiten wegen des Übergangs zur temperierten Stimmung ein besonderes theoretisches Interesse hatte und das als praktisches Problem auch noch lange nach ZANG in Schriften für Kantoren und Lehrer behandelt worden ist.
Der vierte Abschnitt enthält ein Verzeichnis der zu dieser Zeit bekannten Orgelregister und gibt Hinweise für den Organisten zum rechten Gebrauch.
Ein Anhang enthält, wieder dem Brauch folgend, noch einige Dispositionen und zwei Kupfertafeln.
Der erste Zweck dieses Aufsatzes ist natürlich, dem Leser ZANGs Buch vorzustellen. Darüber hinaus möchte ich mich besonders mit den Teilen befassen, die ZANG als seine eigenen Erfindungen hervorhebt, nämlich der Stimmpfeife und seinem kombinatorischen Versuch zur Registrierung. Auch soll noch der Frage nachgegangen werden, ob ZANG schon eine quasi romantische Orgel propagiert. Es geht um die Frage, in welche Epoche er nun eigentlich gehört: Einige Stellen sprechen dafür, dass er sich von der Barockorgel distanziert, und sie sind einem heutigen, eher der Orgelbewegung verpflichteten Leser ein rechtes Ärgernis. Andererseits bleibt ZANG in seiner Musterdisposition und in vielen andern Einzelheiten recht konventionell. Das „ZANG-Problem“, ob der Mainstockheimer Kantor wirklich Bach-Schüler war oder nicht, wird sich damit freilich nicht lösen lassen.