5. Registerkombinationen
Als seinen zweiten eigenen Beitrag nennt ZANG seine Fortführung der Registerkombinatorik. Damit ist wohlgemerkt nicht die Fähigkeit der modernen Orgel gemeint, Kombinationen von Registern zu speichern und auf Knopfdruck einzustellen, sondern mathematische Kombinatorik: Es war Mode geworden, die v.a. an Glückspielen entwickelten mathematischen Methoden auch auf die Musik anzuwenden((ADLUNG 1758 beruft sich v.a. auf Athanasius KIRCHER (1602-1680) )). So wurde etwa berechnet, auf wie viele Arten sich eine Folge von 20 verschiedenen Noten umstellen lässt (Permutationen). Man kommt auf 20! = 2 432 902 008 176 640 000 Permutationen und betrachtet dies als Beweis dafür, dass die bisherige kompositorische Tätigkeit noch lange nicht dazu geführt hat, alle möglichen Kompositionen auszuschöpfen:
… so entstehen durch die Versetzung solcher Töne, ungeheure Summen zum Produkte, bey welchen nicht zu wundern ist, wenn auch die Komponisten viele tausendfältige neue Stücke aufsetzen, und keiner von dem andern so zu sagen etwas Stiehlet, daß immer neue Sätze und Melodien entstehen können, die noch nicht da waren. Ich habe die Töne nur bis auf 20 berechnet, und befunden daß sich ihre Veränderungen [Permutationen] auf 2 Trillion, 432 tausend 218 Billion, 8 tausend 176 Million und 640 tausend belaufen((Wer hat jetzt falsch gerechnet, mein PC oder ZANG)). Hier darf man wohl auch sagen: O welch eine Tiefe des Reichthums!((S. 153))
Eigentlich aber will ZANG ja von der Registrierung reden und folgt nur in der Darstellung ADLUNGs 8. Kapitel.((ADLUNG 1758, S. 482 ff.)) Er sagt also richtig, dass die Permutationen von Registern keinen andern Klang geben (es spielt keine Rolle, ob man zuerst Praestant und dann Oktava zieht oder umgekehrt), und dass man die Kombinationen von Registern (die unabhängig von der internen Reihenfolge sind) berechnen muss. Bei ADLUNG steht eine längere Tabelle bis zu 40 Register hinauf. Sie beginnt mit 1 für 1 Register, 3 für 2 Register, 7 für 3 Register. Auch die Iterationsformel ist angegeben: man muss die jeweils letzte Zahl verdoppeln und 1 addieren, um die nächste Zahl zu erhalten (für heutige Mathematik-Kenntnisse leichter zu verstehen: Da jedes von n Registern gezogen oder abgestoßen sein kann, gibt es insgesamt 2n Möglichkeiten einschließlich der, dass überhaupt keines gezogen ist. ADLUNG und ZANG zählen diese letzte nicht mit und haben also 2n-1). ZANG ergänzt diese Kalkulation, indem er – und das steht nicht bei ADLUNG – die Kombinationen von n Registern aufteilt in solche mit 1, 2, … bis n gezogenen Registern. Er nimmt eine Orgel mit 8 Registern an (Prinzipal, Octava, Superoctav, Quintatön, Flauta, Gedackt, Violdamour, Trompette). Die möglichen Kombinationen zu k = 2 bis 6 Registern versucht er – die Formel
ist ihm offenbar unbekannt – durch Aufzählung herauszubringen. Das funktioniert noch bei 2 gezogenen aus 8 Registern (C(8,2) = (8*7)/(2*1) = 28) und misslingt leider bei 3 und mehr gezogenen Registern, wo immer mehrere Kombinationen fehlen. So kommt er auf 49 Kombinationen zu 3 Registern statt 56, 63 zu 4 Registern statt 70, 40 zu 5 Registern statt 56 und 17 zu 6 Registern statt richtig 28. Für die letztgenannte Gruppe sieht ZANGs Tabelle so aus:
36.) Nun folgt ein Ansatz von 6 Registern
123456 = 123457 = 123458
123467 = 123468 = 123478
123567 = 123568 = 123578
124567 = 124568 = 124578
125678 =
234567 = 234568 = 234578
245678.((S. 161))
Die „=“ dienen nur als Trennzeichen. Die Ziffern bedeuten die o.a. Register. Es fehlen 123578, 123678, alle 5 Gruppen, die mit 13 beginnen, 145678, 234678, 235678 und 345678.
Ich bin dem Verdacht nachgegangen, ZANG habe schlecht klingende Kombinationen ausgeschieden, aber das scheint nicht der Fall zu sein: So fehlen z.B. bei 3 gezogenen Registern die Kombinationen Octava+Superoctav mit Flauta, Gedackt, Violdamour und Trompette, die alle vielleicht nicht besonders geschickt, aber auch nicht anstößig sind. Dagegen ist die wenig sinnvolle Kombination Octav und Superoctav (ohne 8-Fuß) unter den 2-Register-Kombinationen aufgezählt und nicht weggelassen. Es steckt also keine musikalische Bewertung der mathematischen Ergebnisse dahinter, sondern ZANG hat sich bei den Aufzählungen schlicht vertan. Wir wollen das nicht ernster nehmen als es die Zeitgenossen getan haben – da der Fehler in der 2. Auflage noch steht, hat ihn wohl keiner bemerkt.
Vergnüglich ist zu lesen, dass gerade an diesen Abschnitt noch Kontrollfragen mit den richtigen Antworten angehängt sind. Sie beziehen sich auf das Nachschlagen und die Ersetzung der Register durch Zahlen in den Tabellen:
Welches werden die Register seyn, die vorn in der zweystimmigen Gattung stehen in der 21. Veränderung, sie heißen 4, 7?
Antwort, man siehe vorn in der Bezeichnung nach, die gleich vorher stehet, da steht über 4 die | Quintatön, und über 7 Viold’amour. Dieses sind also die bezeichneten Register zu dieser Veränderung((S. 162 f.))
u.s.w.
ZANG hatte demnach nicht bloße Mathematik im Sinn (dann hätte ja ein weiterer Seufzer „O welch eine Tiefe des Reichthums!“ gereicht), sondern durchaus praktische Organistenausbildung: Der Leser sollte nicht (wie ich) nur die Kombinatorik ansehen, sondern er sollte die von ZANG eruierten Kombinationen auch ausprobieren. Sehen wir über die Fehler hinweg und die Sache positiv: Dass man mit 8 Registern auf der Orgel 255 Registriermöglichkeiten hat, ist eine abstrakte Zahl, und dass es bei 20 Registern über 1 Million sind, nimmt jedem den Mut, etwas zu probieren. Wenn ZANG etwas mehr ins einzelne geht, mag das ein Versuch sein, die Organistenkollegen zu mehr Experimentierfreude anzuregen.